Eh la la la la …“ – die Schreie der Gaukler sind nicht zu überhören. „Goigglär“ nennen die Einheimischen die beiden kostümierten Burschen mit den geschwärzten Gesichtern: zwei Verrückte, die ein schwarzes Pferdchen durch eine weiße Wüste dirigieren. Zu Mauern getürmt liegt der Schnee, Eis deckt die schmalen Pfade Kippels, des ältesten Dorfs im Schweizer Lötschental. „Attention, attention“ – wie auf dem Basar preisen die Gaukler ihr Pferdchen an, in dem ein Bursche mit kostbarer Krone steckt. „Chinigrossli“ nennen es die Menschen: Königsross. „Tournez, tournez!“ – Gehorsam dreht sich das Ross, streckt der Königsreiter den Umstehenden sein geschmücktes Hinterteil entgegen. Vor allem Damen sind es, die sich für die schönen Bouquets darauf interessieren, die das Ross wie einen Blumengruß offeriert. Die Burschen parfümieren sie inzwischen auch kräftig.
„Hier kommt die Königin der Nacht“, überschlagen sich die Stimmen der lobpreisenden Gaukler fast. Wie Beduinen sind sie gekleidet, gehüllt in farbige Umhänge. Ihr Ross trägt gewöhnlich einen orientalisch klingenden Namen. „Attention, Cleopatra, attention“ – wieder machen die Burschen ihrem Pferdchen Beine, dirigieren es sorgsam weiter durch Schnee und Eis. Zu den Notabeln des Dorfes wie den Gemeinderäten oder dem Pfarrer.
Im Wallis unterwegs
„Z’Chinig-Rosslinu“, heißt es in Kippel, „erinnert an die Heiligen Drei Könige.“ Hinter dem für einen Nichtschweizer fast unaussprechlichen Wort steckt der Umgang eines oder mehrerer Rösser, die jährlich zu Dreikönig im Lötschental im Kanton Wallis, im Süden der Schweiz, unterwegs sind.
„Eh la la la la …“ – langsam werden Kippels Goigglär heiser, verhallen ihre Rufe zwischen den dunklen Holzbauten. Die oft jahrhundertealten Bauernhäuser sind der Stolz des Lötschentals, architektonische Raritäten alpiner Handwerkskunst. Kerzen und Engel haben ihre Bewohner zum Jahreswechsel in die Fenster gestellt. Vor den Türen drehen sich leuchtende Sterne an silbernen Fäden.
Gleich um die Ecke ist das Ross zu Hause, in dem nach alter Tradition ausnahmslos Rekruten stecken, die ledigen Burschen des jeweiligen Jahrgangs. Sie haben das Recht, für einen Tag „äs Chinigrossli“ zu spielen und damit die Königsrolle einzunehmen. Kondition und Stehvermögen verlangt diese Aufgabe. Den von perlenbestickten Tüchern verhangenen Holzreif mit den kleinen Glöckchen und dem geschnitzten Pferdekopf durch Schnee und Eis zu steuern, ist gar nicht einfach.
Zwei bis drei Stunden dauert es, ein Chinigrossli einzukleiden. Fummelkram mit Garn und Faden ist das, bei dem Mütter, Schwestern, Nichten oder Tanten gefordert sind. Sechs bis sieben Meter Stoff haben sie in der Regel schon vorher verarbeitet, funkelnde Steinchen und glitzernde Perlen aufgenäht. Bis zu 3000 Franken (etwa 3200 Euro), weiß man im Lötschental, kann ein Kostüm heute kosten.
Vorbei sind die Zeiten, als man, wie im 19. Jahrhundert, mit alten Bettdecken und Tauftüchern vorliebnahm. Auch die Gaukler lassen sich nicht lumpen, schlüpfen Jahr für Jahr in Seide. Selbstgemachte Stöcke tragen sie mit sich, eine Mischung aus Hirten-, Wander- und Narrenstab. Auf eisigem Grund vermögen sie jedenfalls zur Not ein klein wenig Halt zu geben.
David heißt einer der Burschen im Pferdegewand. Zwei Freunde hat er sich zur Begleitung ausgesucht: zwei, auf die er sich verlassen kann, die ihn unbeschadet auf den langen Weg durchs Dorf mitnehmen. Früher war sein Vater als Chinigrossli unterwegs. „Es war das letzte Mal“, erinnert der sich, „dass man den Brauch pflegte.“ Danach jedenfalls war ein gutes Jahrzehnt Pause. Keiner der Jungen wollte das Pferdchen mehr mimen.